Sophie Achleitner, Momentum Institut
Interessensvertretung
Pensionen

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Die beste Absicherung für die Finanzierung und Nachhaltigkeit des Pensionssystems sind gute, hohe Löhne während des Erwerbslebens.

Sophie Achleitner ist Ökonomin am Momentum Institut und beschäftigt sich mit den Themen Pensionen, Sozialstaat, Geschlechtergerechtigkeit und Armut. Das Gespräch führte Susanne Eiselt (PVÖ-Wien, Öffentlichkeitsarbeit).

Ruf nach Pensionsreform: Die demografische Entwicklung - derzeit sind ca. 20% der Bevölkerung über 65 Jahre, 2034 werden es 25% sein -, zu hohe Lohnabschlüsse, sprich zu viel Lohnnebenkosten (soziale Leistungen) führen dazu, dass Wirtschaft und Industrie stets eine Pensionsreform fordern. Das heißt: später in Pension und weniger Zuschuss aus dem Budget.

Wie ist dazu die Position des Momentum -Instituts?

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Von einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters raten wir ab.

Schon jetzt schaffen es viele Menschen nicht einmal bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter erwerbstätig zu sein. 2022 war fast ein Drittel der Menschen in Österreich, bevor sie in Pension gingen, nicht erwerbstätig. Auch ist die Arbeitslosigkeit kurz vor dem Pensionsantritt höher als in allen anderen Altersgruppen. Wenn das Antrittsalter also weiter erhöht wird, befeuern wir damit Probleme wie Arbeitslosigkeit von älteren Menschen und damit auch Altersarmut.

Ein weiterer Grund, der gegen eine Anpassung an die Lebenserwartung spricht: Für ärmere Menschen liegt die Lebenserwartung deutlich niedriger als für Reichere. Während ein Mann aus dem obersten Fünftel der Einkommensverteilung durchschnittlich ein Alter von 83 Jahren erreicht, stirbt ein Mann aus dem untersten Fünftel im Schnitt mit 76 Jahren – um sieben Jahre früher. Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung (egal, in welchem Gesundheitszustand) würde diese Ungleichheit weiter verschärfen.

Kosten die Pensionen dem Staat zu viel?

Die Statistik stellt fest: jeder 4. Budget-Euro fließt in die Pensionen. Laut Industriellenvereinigung (IV) müsse der Staat bis 2050 eine Billion Euro für die Erhaltung des Pensionssystems zuschießen.

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Der große demografische Wandel findet bis zum Jahr 2035 statt.

Bis dahin werden die Baby-Boomer in Pension gehen, temporär ist das mit höheren Pensionskosten verbunden. Kurzfristig kann dieser Anstieg mit einer Erhöhung der Beschäftigung von älteren Menschen eingedämmt werden: Die Erhöhung der Beschäftigung von älteren Arbeitnehmer*innen (die das Pensionsantrittsalter noch nicht erreicht haben) könnte bis 2035 etwa 57 Milliarden Euro an Einsparungen bringen. Gleichzeitig wird damit auch Problemen wie Arbeitslosigkeit im Alter und auch Altersarmut begegnet. Bei einer Kopplung der Lebenserwartung könnten im gleichen Zeitraum bis 2035 nur etwa 17 Milliarden Euro eingespart werden und es wäre auch verteilungspolitisch problematisch, da reiche Menschen im Schnitt länger leben.

Langfristig müssen wir uns in Österreich keine Sorgen um die Pensionsausgaben machen: Bis zum Jahr 2070 wachsen sie um lediglich 0,4 Prozentpunkte. Damit liegt Österreich sogar unter dem EU-Länderschnitt von 1,36 Prozentpunkten. Spitzenreiter Luxemburg muss um 8,3 Prozentpunkte höhere Pensionsausgaben bewältigen, während die Ausgaben in Griechenland bis 2070 sogar um 2,5 Prozentpunkte abnehmen. Der EU-Vergleich zeigt, dass die Mehrheit der Länder in den kommenden 50 Jahren mit steigenden Pensionsausgaben rechnen muss, Österreichs Anstieg ist im Vergleich minimal.

Ist die Panik der Wirtschaft und der Industrie berechtigt?

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Nein!

Immer wieder nimmt die Debatte um die Nachhaltigkeit und langfristige Finanzierbarkeit unseres Pensionssystems an Fahrt auf. Doch die Sorge um vermeintlich explodierende Pensionsausgaben bleibt unberechtigt. Das bestätigt die Europäische Kommission in ihrem kürzlich veröffentlichten ‚Ageing Report 2024‘. Die Pensionsausgaben werden bis zum Jahr 2070 um lediglich 0,4 Prozentpunkte ansteigen. Im Bericht des Vorjahres 2023 war es noch plus 1 Prozentpunkt bis 2070 – die Prognose fällt also deutlich besser aus als zuvor.

Warum werden Pensionisten*innen zu passiven „Empfänger*innen“ „verunglimpft“?

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Das Pensionssystem in Österreich beruht auf dem Generationenprinzip.

Die jetzt arbeitende Generation sichert die Pensionen der aktuellen Pensionist:innen. Jene wiederum haben durch ihre Beiträge ebenfalls zur langfristigen Sicherung und Nachhaltigkeit des Pensionssystems beigetragen. Die Pension ist also keine Sozialleistung, sondern eine Versicherungsleistung. Nur jenen, die zu niedrige Pensionen beziehen, wird über die Ausgleichszulage etwas zugeschossen – und auch das ist noch zu wenig. Die Mindestpension (Ausgleichszulage) ist nicht armutsfest – sie liegt rund 280 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle (Ein-Personen-Haushalt). Die beste Absicherung für die Finanzierung und Nachhaltigkeit des Pensionssystems sind also gute, hohe Löhne während des Erwerbslebens.

Die Pensionserhöhung orientiert sich jährlich an der Inflationsrate.

Expert*innen meinen, es sollte sich vielmehr nach der Lohnentwicklung richten. Wie ist dazu die Meinung des Momentum-Instituts?

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Die Lohnentwicklung hinkt der Preissteigerung hinterher!

Die Löhne werden in Österreich einerseits zu unterschiedlichen Zeitpunkten verhandelt (Herbst- und Frühjahrslohnrunden) und andererseits finden die Verhandlungen verzögert statt – mit der zugrundeliegenden Inflationsrate der letzten 12 Monate. Das heißt, die gestiegenen Preise haben die Menschen in Österreich bereits ein Jahr lang berappt, ohne dass ihr Lohn an die Teuerung angepasst wurde, bevor es überhaupt in die Lohnverhandlungen geht. Die Lohnentwicklung hinkt also den Preissteigerungen hinterher und macht die Mehrbelastung durch die Inflation auch oft nicht wett. Wenn die Pensionen also an die Löhne angepasst würden, dann hinken sie sogar doppelt hinterher: zuerst ein Jahr lang bis überhaupt die Löhne verhandelt werden, und dann noch bis die Verhandlungen abgeschlossen sind, die durchaus mehrere Monate dauern können. Das heißt, eigentlich müssten die Löhne um mindestens die Inflation angepasst werden, ebenso wie die Pensionen und nicht umgekehrt.

Pensionisten*innen stellen auch einen Wirtschaftsfaktor dar,

der die Wirtschaft belebt, da sie u.a auch investieren, da sie z.B. Wohnungen behindertengerecht umbauen lassen, Pflegedienste, Mobildienste in Anspruch nehmen, gibt es dazu auch Zahlen und Fakten?

Senior people holding hands in the middle before a football match
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Pensionist*innen konsumieren, investieren und zahlen Steuern

wie alle anderen und tragen damit logischerweise auch zur Wirtschaftsleistung bei. Zwar ändert sich die Struktur des Konsums und der Ausgaben im Alter (unter anderem mehr Ausgaben für Gesundheit, Wohnen oder Heizung), insgesamt sind sie allerdings etwas niedriger als in Erwerbstätigenhaushalten.

Besonders den Beitrag von Pensionist*innen zur unbezahlten Arbeit darf man auf keinen Fall vergessen. Häufig sind es die bereits pensionierten Omas, die die Betreuung von Enkelkindern aufgrund von mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten übernehmen oder noch ältere Angehörige pflegen. Auch das trägt dazu bei, dass Wirtschaftswachstum überhaupt möglich ist.

Eine zentrale Forderung des Pensionistenverbands Österreich (PVÖ) ist der Kampf gegen Altersarmut. Hier speziell bei Frauen.

Durch die Teilzeitfalle und Care-Arbeit sind Frauen davon mehr betroffen. Stichwort „equal – pension-day“ (österreichweit am 6. August, in Wien am 15. September 2024). Glauben Sie, dass die Anhebung des Pensionsantrittsalters seit 2024 bei Frauen nun ein Hebel sein kann, Altersarmut zu minimieren bzw. zu verhindern?

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Im Gegenteil:

Die schrittweise Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters für Frauen auf 65 Jahre verschärft die Situation noch weiter. Jede zweite Frau geht nicht aus der Erwerbstätigkeit in Pension, sie haben außerdem weniger gesunde Lebensjahre zu erwarten als Männer. Aktuell gehen sie noch gesund in den Ruhestand aber durch die Erhöhung schickt sie der Staat künftig krank in Pension. Aufgrund von fehlender Kinderbetreuung und Pflegemöglichkeiten kommt es bei den Erwerbskarrieren von Frauen noch immer viel häufiger zu Unterbrechungen. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit oder bleiben dem Arbeitsmarkt gänzlich fern. All das führt dazu, dass die durchschnittliche Frauenpension im Jahr 2022 etwa 300 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt. Im Vergleich zu Männern bekommen sie außerdem etwa 41 Prozent weniger Pension. Die Anhebung des Antrittsalters für Frauen ändert also nichts an diesen Problemen und verschärft weibliche Altersarmut weiter. Viel wichtiger wäre es, in soziale Infrastruktur und Pflege zu investieren, damit Kinderbetreuung und Altenpflege nicht weiterhin Großteils (weibliche) Privatsache ist.

Nun zur jungen Generation und ihrer Einstellung zum Pensionssystem generell:

75% der 18–30-Jährigen haben Angst um die Sicherheit und Höhe ihrer Pensionen, das ist im Kurier im April nach einer Umfrage von Unique Research im Auftrag der Initiative 2050 veröffentlicht worden: Woher kommen diese Ängste und die Bereitschaft auf private Altersvorsorge auszuweichen?

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Panikmache ist ungerechtfertigt!

Es ist wichtig hier nochmals zu betonen, dass die Panikmache vor einem bevorstehenden Kollaps des Pensionssystems durch die alternde Gesellschaft ungerechtfertigt ist. Die Angst ist außerdem nichts Neues: „Ich bekomme ja sowieso keine Pension mehr“ haben schon unsere Eltern und Großeltern befürchtet. In vielen Fällen wird auch versucht, in absoluten Zahlen das Bild einer aufklaffenden „Pensionslücke“ zu zeichnen. Jedes Jahr müssten Millionen Euros mehr „zugeschossen“ werden. Was nicht dazu gesagt wird ist, dass natürlich auch Einkommen, Preise, Steuereinnahmen und die Wirtschaftsleistung in der Vergangenheit jedes Jahr einen höheren Stand erreicht haben. In einer wachsenden Wirtschaft ist dies der Normalzustand. Sinnvoll ist es daher nur, die Relation der Pensionsausgaben zur Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, zu betrachten.

Wieso ist in Österreich das Thema „Pension“ so stark mit Passivität besetzt, wie könnte dieser Lebensabschnitt besser als „nachberufliche Karriere“ gesehen und geplant werden?

© Ludwig Schedl

Menschen nur dann als „aktiv“ zu bezeichnen, wenn

die Person Erwerbsarbeit leistet, folgt einer arbeitszentrierten Logik. So passiert es auch bei unbezahlter Arbeit, sei es Hausarbeit, die Betreuung der Kinder oder Enkelkinder oder die Pflege von älteren Angehörigen. Solange wir über Aktivität immer nur im Zusammenhang mit bezahlter Erwerbsarbeit sprechen, werden gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten und Arbeiten unsichtbar bleiben und abgewertet. Dabei sind sie es doch, die es uns überhaupt ermöglichen, bezahlte Erwerbsarbeit zu verrichten.

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