Als ich 1989 beim PVÖ-Wien begonnen habe, war ich sehr kurz in der Rechtsvertretung tätig. Der Vater meiner damaligen Kollegin suchte in seiner Funktion als Rechtsberater des PVÖ eine Nachfolge. Für mich war es damals ein Zusatzjob, um ein bisschen mehr Geld zu verdienen. Im Laufe der Jahre hat sich meine Einstellung geändert, weil ich so nahe am Leid der Menschen dran bin.
Damals gab es noch sehr viele vom Krieg psychisch traumatisierte ältere Menschen, die mich konsultierten. Eine Frau blieb mir in Erinnerung, die sich sicher war, dass man sie aus der Wohnung delogieren wollte. Das hat sie aufgrund von Klopfgeräuschen der Heizung vermutet. Eine andere ältere Dame kam mit einer großen Sandwich-Schachtel und meinte, dass sie mir etwas mitgebracht habe. In der Schachtel waren verschiedene Gebisse und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wo sie die her hatte. – Solche Dinge passieren jetzt kaum mehr.
Das Klientel bzw. deren Anliegen haben sich verändert.
Mir ist aufgefallen, dass die Menschen heute wesentlich konkretere Fragen stellen. Früher war es oft so, dass ich nicht wusste, was sie eigentlich von mir wollten. Vermutlich suchten sie nur eine Gesprächspartnerin. Jetzt ist es so, dass die meisten, die zu mir kommen, schon ein selbstbestimmteres Leben gelernt haben und genau wissen, was sie wollen. Gerade bei Frauen ist das zu beobachten. Früher wussten sie nicht, wie hoch die Pension des Mannes war, weil sie von ihm nur Kostgeld bekommen haben. – Heute schauen sie selbst auf ihr Geld und kommen wegen vermeintlich falscher Handyrechnungen.
Besitz und Erbe sind vorrangige Themen. Was ich früher oft hatte, waren Menschen, die von mir wissen wollten, wen sie als Erbe einsetzen sollen, weil sie niemanden mehr hatten. – Zumindest wurde das behauptet. Heute wissen sie, wen sie als Erben einsetzen wollen, haben aber nicht das Vertrauen zum Notar. Sie wollen, dass der PVÖ hier eine Aufsicht übernimmt und den handelnden Notar dann entsprechend überprüft. Die Menschen wollen sicher sein, dass wir uns darum kümmern und dass nach ihrem Ableben alles ordnungsgemäß laut Testament abgewickelt wird.
Ein großes Thema sind bei uns die besachwalteten Menschen. Sie präsentieren sich als äußerst arm und entrechtet. Speziell in finanziellen Belangen behaupten alle, dass ihnen die Vertretung kein Geld gibt und dass diese nicht mit ihnen spricht. Das entspricht wahrscheinlich der Realität, weil diese Menschen übersehen, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen oder aber auch ein Notgroschen zur Seite gelegt werden muss. Und klarer Weise haben die Kanzleien mehrere Vertretungen und sind dadurch in ihren zeitlichen Ressourcen gebunden.
Besonders bewegt hat mich ein Fall im letzten Sommer. Da kam ein älterer Herr zu mir mit zwei handschriftlichen Testamenten. Er wollte wissen, ob die so passen. In den Testamenten hat er seine Frau und seine Frau ihn als Erben eingesetzt. Seine Frau konnte deshalb nicht mitkommen, weil sie seit zwei Jahren an Demenz leidet. Er – 94 Jahre alt, sie – 91 Jahre alt, sind seit mehr als 70 Jahren verheiratet. Als sie nicht mehr konnte, hat er kochen und Haushaltsführung gelernt. Als ich ihn fragte, ob er sich nicht Hilfe für die Betreuung seiner Frau holen wolle, hat er energisch verneint. – Mich hat seine Reaktion sehr berührt. Der alte Mann, klein und drahtig, mit maximal 60 Kilogramm Körpergewicht hat die Fäuste geballt und mit einer Willenskraft, die seinesgleichen sucht, entschieden gesagt, dass das für ihn auf keinen Fall in Frage kommt, weil er für sie da ist „in guten wie in schlechten Zeiten“.